Schmerz und Manuelle Medizin

Manuelle Medizin bezeichnet die Untersuchung und Behandlung von Funktionsstörungen des Bewegungssystems mit der Hand (lat. manus = Hand). Die Bezeichnungen „Manuelle Medizin“, „Manualtherapie“, „Chirotherapie“ und „Chiropraktik“ werden teils gleichbedeutend gebraucht. Auch die Osteopathie kann als Teil der Manuellen Medizin verstanden werden.

Ursprünglich wurde mit Hilfe von Handgriffen des Manualtherapeuten, sogenannten „Manipulationen“, die Beweglichkeit von bewegungseingeschränkten Gelenken wiederhergestellt, Blockierungen wurden gelöst. Inzwischen hat sich die Manuelle Medizin zu einem umfassenden diagnostischen und therapeutischen Verfahren entwickelt. Neben Gelenken werden Funktionsstörungen der Muskulatur, des Bindegewebes, der Aufhängungen innerer Organe, der Nervengleitfähigkeit sowie der Bewegungs- und Haltungssteuerung behandelt. Diese Funktionsstörungen verursachen oft Schmerzen und Bewegungseinschränkungen und können zu chronischen Schmerzerkrankungen beitragen.

Die nachhaltige Wirkung der Manuellen Medizin ist bei akuten und chronischen Schmerzen auch wissenschaftlich nachgewiesen. Insbesondere bei chronischen Schmerzen ist es jedoch wichtig, die Manuelle Medizin in der Diagnostik und Therapie mit anderen Methoden zu kombinieren (multimodale Schmerztherapie). Man unterscheidet schmerzauslösende und dem Schmerz zugrunde liegende Funktionsstörungen.
 

Schmerzauslösende Funktionsstörungen:

  • Muskulatur: Verspannungen, Triggerpunkte (Druckpunkte erhöhter Reizbarkeit im Muskel)
  • Wirbelsäule: segmentale Dysfunktion (Blockierung von Abschnitten der Wirbelsäule), segmentale Überbeweglichkeit
  • Gelenke: Überbeweglichkeit, Blockierungen einzelner Gelenke
  • Verkettungen: typische Kombinationen von Gelenk- und Wirbelsäulenblockierungen
  • Bindegewebe (u.a. Unterhautgewebe und Faszien): Verquellungen, Schmerzpunkte, Faszienstörungen
  • innere Organe: Bewegungsstörungen, Triggerpunkte (z.B. Darm)
  • Nerven: Gleitstörungen

In der Regel können diese Funktionsstörungen durch den Arzt (Manuelle Medizin) oder Physiotherapeuten (Manuelle Therapie) gut behandelt werden. Insbesondere akute Schmerzen lassen oft prompt nach.
 

Wichtig ist aber auch die Suche nach den Entstehungsmechanismen der Funktionsstörung, zum Beispiel nach körperlichen (morphologischen) Veränderungen wie beim Gelenkverschleiß (Arthrose) und nach psychosozialen Einflüsse (z.B. muskuläre Daueranspannung durch Stress). Denn sie können dazu führen, dass die Schmerzen nach einer erfolgreichen Behandlung wieder auftreten.

Dem Schmerz zugrunde liegende Funktionsstörungen:

  • veränderte Bewegungsabläufe (Koordinations- und Stereotypstörungen)

  • mangelnde muskuläre Stabilisation der Wirbelsäule

  • Überbeweglichkeit (konstitutionelle Hypermobilität)

  • mangelnde Kondition (Dekonditionierung)

  • Verkettungen von Funktionsstörungen des Bewegungssystems

Zu einer wirksamen Manuellen Medizin gehört daher neben der Behandlung der schmerzhaften Funktionsstörungen immer auch die Behandlung der zugrunde liegenden Störungen. Hier kommen neben der medizinischen Trainingstherapie zum Beispiel die neurophysiologische Physiotherapie und Krankengymnastik an Geräten zum Einsatz. Entscheidend für den langfristigen Erfolg sind die Eigenaktivität der Patienten und die Umsetzung eines Selbsthilfeprogramms.
 

Wichtig!
Neben den schmerzauslösenden Funktionsstörungen müssen immer auch die dem Schmerz zugrunde liegenden Störungen behandelt werden. Nur wenn der Patient selbst aktiv wird und ein Selbsthilfeprogramm umsetzt, lässt sich ein langfristiger Erfolg erzielen.

Für sehr lang andauernde Schmerzen ist oft eine Kombination verschiedenster Faktoren verantwortlich (z.B. Funktionsstörungen, psychosoziale Einflüsse, degenerative Veränderungen). In diesen Fällen sollte eine multimodale Diagnostik und Therapie durchgeführt werden, z.B. stationär in einer manualmedizinischen Fachklinik.

Welche manualmedizinischen Behandlungsmethoden gibt es?

Es werden unterschiedlichste Techniken eingesetzt. Die Behandlung ist in der Regel nicht schmerzhaft.

Segmentale Behandlung

Eine Behandlungsmöglichkeit ist die sogenannte Manipulation (Behandlung von Blockierungen). Hierzu führt der Arzt gezielte schnelle Impulse durch Handgriffe im Bereich der Gelenke und/oder Wirbelsäulensegmente durch. Bei der passiven und aktiven Mobilisation kommen Gleitbewegungen und Traktions-, oder Kompressionsbehandlungen zur Anwendung. Die aktiven Techniken kann der Patient auch selbst nach Anleitung erlernen. Hierzu gehören die Muskelaktivierung (MET = Muskel-Energie-Technik), die Postisometrische Relaxation (PIR-Technik), die Blickrichtungsmobilisation und spezielle Atemtechniken.

Weichteiltechniken

Funktionsstörungen der Muskulatur, des Bindegewebes und der inneren Organe werden mit sogenannten Weichteiltechniken behandelt (z.B. Faszienbehandlung, Neuromobilisation). Die Behandlung der Aufhängung innerer Organe ist in Form von osteopathischen Verfahren in die Manuelle Medizin eingeflossen.

Begleittherapien, Eigenübungen

Mobilisationstechniken können leicht erlernt und in der Behandlung immer wieder auftretender Funktionsstörungen angewandt werden. Übungen zur Verbesserung der Koordination und Stabilisation werden im Rahmen der Physiotherapie erlernt und täglich für ca. 15 Minuten durchgeführt. Kondition und Stabilisation werden durch Training/medizinische Trainingstherapie verbessert. Innere Daueranspannung mit muskulärer Überaktivität kann z.B. durch spezielle Entspannungstechniken reduziert werden.

Welche Erkrankungen sind durch Manuelle Medizin behandelbar?

Die Manuelle Medizin behandelt primär keine Schmerzen oder Erkrankungen, sondern Funktionsstörungen, die Schmerzen und Erkrankungen hervorrufen können. Entscheidend ist deshalb eine genaue Befunderhebung.

Erkrankungen/Schmerzsyndrome, denen häufig Funktionsstörungen zugrunde liegen, sind:

  • Schmerzen im Bereich der Lenden-, Hals- und Brustwirbelsäule mit oder ohne Bandscheibenschäden

  • Gelenkschmerzen und Arthrosen

  • Muskelschmerzen

  • Kopfschmerzsyndrome, insbesondere der Spannungskopfschmerz

  • Karpaltunnelsyndrom

  • funktionelle Magen-Darm-Störungen

  • komplexe Schmerzstörungen mit Funktionsstörungen als Teil der Schmerzursache

Risiken und Nebenwirkungen

Jede effektive Therapie hat auch Nebenwirkungen. Die häufigen Nebenwirkungen der Manuellen Medizin wie z.B. Muskelkater, kurzzeitige Schmerzzunahme oder ein „blauer Fleck“ (Hämatom) nach einer Behandlung am Muskel sind harmlos. Bei wiederholten und in kurzen Zeitabschnitten durchgeführten Manipulationen kann es aufgrund der mangelnden muskulären Sicherung der Gelenke und/ oder Wirbelsäulensegmente zur Instabilität kommen. Diese ist schmerzhaft und zum Teil schwierig zu behandeln. Daher sollten Manipulationsbehandlungen nicht regelmäßig durchgeführt werden. Sinnvoller ist es, nach den Ursachen der wiederholten Blockierung zu fahnden.

Schwerwiegende Komplikationen der Manuellen Medizin sind sehr selten. Bei vermehrter Knochenbrüchigkeit (Osteoporose, Metastasen in Knochen) kann es zu Knochenbrüchen (Frakturen) kommen. Extrem selten sind Schlaganfälle nach Manipulationen im Bereich der Halswirbelsäule durch Verletzung von Gefäßen, die das Gehirn mit Blut versorgen. Hier ist meistens die falsche Behandlungsindikation die Ursache für die Komplikation.
 

Mit bestem Dank an den Autor Kay Niemier