Musiktherapie bei Schmerz

Die ältesten Zeugnisse der menschlichen Heilkunde belegen, dass Musik immer ein wichtiger Bestandteil therapeutischer Rituale und Behandlungen war. Mehr als 10.000 Jahre zurück lassen sich derartige archäologische Funde nachweisen. In den sich entwickelnden Hochkulturen des alten China, des Vorderen Orients, Ägyptens und später dann auch in der Antike existieren vielfältige Zeugnisse und Dokumente bildlicher und schriftlicher Art über die Verwendung von Musik zu Heilzwecken. Wissenschaftliche Untersuchungen haben bestätigt, dass Musik vor allem über den Rhythmus biologische Regelkreise wie Herzschlag, Atmung, Blutdruck, den Spannungszustand von Muskeln und die Schmerzempfindlichkeit positiv beeinflussen kann.

Die moderne Schmerzmedizin hat erkannt, dass lange Zeit anhaltender, chronischer Schmerz zu einer eigenen Schmerzkrankheit wird, die geprägt ist von dem Teufelskreislauf aus Schmerz – Stress – Angst – Hilflosigkeit – Enttäuschung – Anspannung – und noch mehr Schmerz. Die Schmerzkrankheit umfasst nicht nur eine gestörte Regulation wichtiger Lebensvorgänge im Körper des Schmerzkranken, sondern beeinflusst auch seine bewusste Wahrnehmung, das Selbstwertgefühl, das Denken bis hin zum emotionalen Befinden.

In dieser ganzheitlichen Sicht kommt die oft sinnvolle medikamentöse Schmerzlinderung an ihre Grenzen. Medikamente können unzureichend wirksam sein oder müssen so hoch dosiert werden, dass die Lebensqualität der Patienten eingeschränkt wird. Aus dieser Situation heraus erinnern wir uns an ergänzende Hilfsmittel, mit denen Patienten durchaus auch Linderungen ihrer Schmerzen erfahren, wie z.B. durch Musik. Musik-Medizin versteht sich hier als wissenschaftlich fundiertes Verfahren zur Unterstützung und Ergänzung schulmedizinischer Maßnahmen in Prävention (Vorbeugemaßnahmen) und Therapie.
 

Die „medico-funktionale“ Musik wirkt bereits auf Rückenmarksebene schmerzfilternd, insbesondere im zentralen Nervensystem beeinflusst sie die Schmerzverarbeitung und das Schmerzerleben sowie begleitende Stressreaktionen durch die Freisetzung von Hormonen und Überträgersubstanzen (z.B. körpereigene Endorphine).

So verringert sich z.B. durch den Einsatz von Entspannungsmusik vor, während oder nach einer Operation der Schmerzmittelbedarf deutlich. Bei der Verknüpfung von Musik mit gesprochener Entspannungsanleitung verringerten sich beim täglichen Hören von 25 Minuten über 3 Wochen nicht nur die Schmerzintensität, sondern auch die Werte für Angst, Depression und Schlafstörungen – besonders bei Kopfschmerzpatienten.
 

Die genaue Wirkweise von Musik ist dabei noch nicht völlig geklärt.

Neben der Aufmerksamkeitsfokussierung und dem damit verbundenen Ablenkungseffekt kann es zu einer deutlichen Dämpfung der Stressreaktion mit verminderter Ausschüttung von Stresshormonen in das Blut, zu einer Anhebung der Schmerzschwelle (Schmerztoleranz), zu einer direkten Dämpfung der Schmerzwahrnehmung auf Ebene des Gehirns, zu einer Senkung der Muskelspannung, zu einer Förderung von Lebensmut sowie zu einer psychomotorisch verbesserten Koordination bei krankengymnastischen Übungsbehandlungen kommen. Diese Behandlungseffekte werden quasi ohne Nebenwirkungen erreicht.

Belegte Erfolge bei der Bekämpfung des akuten Schmerzes durch Musik haben in vielen Kliniken zum Einsatz einer routinemäßigen Schmerzbehandlung durch Musiktherapie bzw. Musik-Medizin („Audioanalgesie“) geführt. Aber auch im Rahmen der Selbsthilfe gewinnt die Schmerzbehandlung durch Musik an Bedeutung, besonders da, wo Heilung nicht mehr möglich ist. Man unterscheidet zwischen aktiver Musiktherapie, wo der Patient sich mit Stimme oder einem Instrument einbringen kann, und rezeptiver Musiktherapie, die über einen Tonträger wie zum Beispiel eine CD gehört wird.

In der Praxis erhält der Schmerzkranke speziell für diese Zwecke entwickelte Musik vor und während einer Behandlungssitzung beim Schmerztherapeuten. Ebenso werden musikgestützte Programme zur Selbstanwendung zu Hause im Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe eingesetzt. Solche Programme, die auch am Arbeitsplatz Verwendung finden können, erfordern es, dass der Patient selbst seine Musikauswahl trifft. Musik ist für jeden einzelnen Menschen mit unterschiedlichen Erinnerungen und Empfindungen verbunden, deshalb soll sie seinem persönlichen Geschmack in der betreffenden Situation entsprechen, ihm zunächst Ablenkung und Entspannung ermöglichen, um dann in einem zweiten Schritt aufmunternd und aktivierend zu wirken. Befragt man solcher Art betreute Patienten auch über mehrere Jahre zu ihren Erfahrungen, so betonen rund 90% aller Betroffenen die Nützlichkeit eines derartigen Musikeinsatzes.

Die Internationale Gesellschaft für Musik in der Medizin e.V. und die Deutsche Musiktherapeutische Gesellschaft (DGMT) bemühen sich seit über 30 Jahren durch einen fachübergreifenden Austausch zwischen Ärzten, Musiktherapeuten, Hirnforschern und Musikern darum, den Einsatz von Musik in der Schmerzbehandlung zu erforschen und zu fördern.
 

Mit bestem Dank an den Autor Ralph Spintge