Journal Club 13.04.2021

Titel: Pharmakogenetik in der perioperativen Schmerztherapie

Vortragende Person: Joanna Kastelik, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Anästhesiologie m.S. operative Intensivmedizin (CCM/CVK)      

Vorgestellter Artikel: Using pharmacogenetics to structure individual pain management protocols in total knee arthroplasty

Die Autoren beschreiben folgende Ziele dieser randomisierten Pilotstudie: Bestimmung des Anteils der Patient*innen zur primären totalen Kniegelenkarthroplastik (TKA) mit genetischen Varianten mit Einfluss auf die am häufigsten verordneten postoperativen Analgetika und Bestimmung der Umsetzbarkeit der pharmakogenetischen Testung im klinischen Setting. Es wurde auch die Forschungsfrage, ob die auf den pharmakogenetischen Ergebnissen basierende Änderung der multimodalen Schmerztherapie die Schmerzkontrolle verbessert und die Nebenwirkungen der Analgetika reduziert, formuliert. In die Studie wurden 31 Patient*innen >18 Jahre alt zur primären TKA eingeschlossen. Die Patient*innen wurden einer Kontrollgruppe oder einer Interventionsgruppe zugeteilt. Jede Studiengruppe wurde in 2 Kategorien je nach Vorhandensein von genetischen Varianten in den untersuchten Genen (OPRM1, CYP1A2, CYP2B6, CYP2C19, CYP3A4, CYP2C9, CYP2D6) unterteilt. Bei der präoperativen Visite wurden den Studienteilnehmer*innen 2 buccale Abstriche zur genetischen Untersuchung entnommen. Die Ergebnisse der Untersuchung wurden in Form eines  “MediMap” patient report dem Chirurgen vorgelegt. Patient*innen in der Kontrollgruppe und Patient*innen in der Interventionsgruppe ohne die genetischen Varianten erhielten die in dem Artikel definierte Standardmedikation, die folgende Medikamente umfasste: Ketorolac, Paracetamol, Tramadol, Hydrocodone und Celecoxib. Bei Patient*innen in der Interventionsgruppe mit genetischen Varianten wurde ein individualisiertes Schmerztherapieschema angewendet. Bei inadäquater Schmerzkontrolle oder Nebenwirkungen bei Patient*innen in der Kontrollgruppe wurden die genetischen Ergebnisse beurteilt und die analgetische Medikation entsprechend angepasst. Als primäres Outcome wurde von den Autoren die Häufigkeit von Patient*innen mit genetischen Varianten definiert, als sekundäre Outcomes die Nebenwirkungen, Menge und Typ der Schmerzmedikamente (umgerechnet in Morphinäquivalente), die in den ersten 10 postoperativen Tagen von den Patient*innen eingenommen wurden. 13 Patient*innen (42%) hatten genetische Varianten in einem oder mehreren Genen mit Einfluss auf die Wirksamkeit und Nebenwirkungen der Standardanalgetika. 8 Patient*innen (26%) hatten genetische Varianten mit Einfluss auf mehr als ein Medikament. Vollständige Daten aus den pain and medication logs waren von 25 Patient*innen verfügbar. Die mittlere Schmerzintensität und die Morphinäquivalente in den ersten 10 Tagen waren höher in der Kontrollgruppe als in der Gruppe mit individuell angepasster Schmerzmedikation (custom-guided group). Die Autoren schlussfolgern, dass eine pharmakogenetische Testung in der klinischen Praxis umsetzbar ist. Pharmakogenetische Testung wird als eine erfolgversprechende Methode mit der Möglichkeit eines personalisierten perioperativen Schmerzmanagements und einer potentiellen Outcomeverbesserung beschrieben.

Zusammenfassung der Diskussion im Journal Club:

In der Diskussion wurde das Thema des Artikels als sehr spannend und klinisch relevant bewertet. Mit dem hier beschriebenen Ansatz Pharmakogenetik in einen klinischen Handlungsablauf zu integrieren, besteht eine relativ niedrigschwellige Möglichkeit einen Schritt in Richtung individualisierte Medizin zu gehen.

Positiv an der Methodik wurde bewertet, dass die Studie vorab bei Clinical Trials regstriert war. Auch die Verblindungs- und Randomisierungsmethode erscheint sinnvoll.

Kritisch wurde jedoch die Statistik des Artikels bewertet. Die Beschreibung der statistischen Methoden findet keinen eigenen Abschnitt im Methodenteil, sondern wird nur unvollständig in einem Nebensatz erwähnt. So ist z.B. unklar welcher Test für den Vergleich der Morphinäquivalente zwischen den Gruppen genutzt wurde. Darüber hinaus wurde nicht darauf eingegangen, ob die Voraussetzungen für die Nutzung des T-Tests (Normalverteilung, Homogenität der Varianzen etc.) überhaupt erfüllt sind. Des Weiteren werden lediglich Signifikanzen und keine Effektstärken reportet, auch wenn dies seit Jahrzehnten massiv gefordert ist (Cohen 1992).

Hamilton WG, Gargiulo JM, Parks NL. Using pharmacogenetics to structure individual pain management protocols in total knee arthroplasty. Bone Joint J. 2020;102-B(6_Supple_A):73-78.     

Cohen, J. 1992. ‘A Power Primer.’ Psychological Bulletin 112 (1): 155–59.