Medikamente bei Tumorschmerzen

Eine Besonderheit in der Schmerztherapie stellt die Behandlung von Tumorschmerzen dar. Häufig handelt es sich um einen gemischten Schmerz („mixed pain“), der durch Anteile eines Gewebeschmerzes und gleichzeitig auch Nervenschmerzes gekennzeichnet ist.

Für die Behandlung hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Stufenplan empfohlen:

Auf der ersten Stufe stehen Medikamente wie NSAR und Coxibe gegen leichte Schmerzen, die schon im Abschnitt über die Therapie des Gewebeschmerzes beschrieben wurden. Auf der zweiten Stufe stehen mittelstark wirksame Medikamente aus der Gruppe der Opioide, die aber im Vergleich zur Grundsubstanz Morphin eine fünf- bis zehnfach schwächere Wirkung haben. Die wichtigsten mittelstark wirksamen Opioide sind Tilidin und Tramadol. Auf der dritten Stufe stehen die stark wirksamen Opioide. Es gibt hier verschiedene Wirkstoffe, die sich in der chemischen Form unterscheiden und somit auch in ihrem Wirkungs- und Nebenwirkungsprofil. Bekannte Wirkstoffe sind z.B. Morphin, Oxycodon, Hydromorphon, Tapentadol, Fentanyl oder Buprenorphin (siehe Tabelle).

Opioide hemmen zentral in Rückenmark und Gehirn die Verarbeitung und Weiterleitung von Schmerzimpulsen. Als Nebenwirkung am Gehirn kann es zu Beginn einer Behandlung zu Übelkeit und Müdigkeit kommen, die aber bei regelmäßiger Einnahme in der Regel nach 2 Wochen wieder verschwunden sind. Eine Nebenwirkung, die auch bei längerer Einnahme erhalten bleibt, ist eine Verstopfung. Diese Nebenwirkung ist je nach Medikament, Dosierung und Empfindlichkeit des Patienten unterschiedlich stark ausgeprägt. Vorbeugend sollte deshalb auf einen regelmäßigen Stuhlgang geachtet und dieser ggf. mit abführenden Mitteln oder Maßnahmen herbeigeführt werden. Organschäden wie eine Nierenschädigung, Veränderungen des Blutbildes oder Magen/Darm-Blutungen sind unter der Behandlung durch Opioide nicht bekannt.

Große Sorge bereitet vielen Patienten die Möglichkeit der Abhängigkeit von starken Schmerzmitteln. Es ist richtig, dass sich der Körper an die Einnahme von Opioiden gewöhnt und bei höheren Dosierungen körperliche Entzugserscheinungen auftreten können, wenn die Einnahme von Opioiden plötzlich beendet wird. Deshalb sollten diese Medikamente langsam ausgeschlichen werden, sollte die Einnahme aufgrund einer besseren Schmerzsituation nicht mehr notwendig sein.
 

Eine Sucht im Sinn einer psychischen Abhängigkeit tritt allerdings nicht auf, wenn die Opioide zur Behandlung von Schmerzen und nicht zur Erzeugung eines Rauschzustandes eingenommen werden.

Die Dosis der Medikation muss der Schmerzstärke angepasst werden. Vorsicht bei der Einnahme von Opioiden sollte dann bestehen, wenn es in der Vorgeschichte eines Betroffenen Suchtprobleme mit Alkohol oder anderen Drogen gab. Normalerweise muss wegen der fehlenden Suchtentwicklung auch nicht ständig die Dosis des Opioids erhöht werden, sobald eine gute Schmerzeinstellungen gelungen ist. Ungewöhnlich hohe Opioidmengen werden nur für die eher seltenen Fälle benötigt, wo bei Menschen eine Toleranz gegenüber dieser Wirkstoffgruppe besteht. Dies bedeutet, dass erst bei sehr hohen Mengen beispielsweise von Morphin eine ausreichende Schmerzlinderung eintritt. Eine Ursache hierfür kann ein genetisch veränderter Opioid-Rezeptor (Bindungsstelle) in den Körpergeweben sein. Dann gelingt es dem Medikament erst bei sehr hoher Dosierung, einigermaßen gut an die Bindungsstelle anzudocken und eine Schmerzminderung auszulösen.
 

Auf jeder Stufe des WHO-Stufenschemas können Begleitmedikamente (sog. Ko-Analgetika) zusätzlich eingenommen werden. Diese können durch unterschiedliche andere Wirkmechanismen die Schmerzen beeinflussen, so dass ggf. die Dosierung der anderen Schmerzmittel verringert werden kann. Zu den Ko-Analgetika gehören z.B. Antidepressiva (beeinflussen Nervenschmerzen und das Schmerzerleben) oder Kortison (wirkt abschwellend, entzündungshemmend und auch gegen Übelkeit sowie Appetit anregend und Stimmung steigernd).

Früher wurde empfohlen, in der Schmerztherapie alle Stufen der Schmerzbehandlung nacheinander zu durchlaufen und auf der Stufe II und III immer ein leichtes Schmerzmittel hinzuzunehmen. Neue Ansätze empfehlen, nicht so starr an den drei Stufen des WHO-Schemas festzuhalten. Experten gehen immer mehr dazu über, bei sehr starken Tumorschmerzen sofort mit einem stark wirksamen Opioid einzusteigen. Auch ist eine Kombination mit leichteren Schmerzmitteln wie NSAR und Coxiben möglich, aber nicht zwingend vorgesehen. Es ist ganz wichtig zu verstehen, dass das WHO Stufenschema für die Behandlung von Tumorschmerzen vorgesehen ist und die medikamentöse Schmerzbehandlung bei anderen Schmerzarten anders aufgebaut ist.

Prinzipien einer medikamentösen Tumorschmerzbehandlung

In der Tumorschmerztherapie ist es sinnvoll, eine lang wirksame (retardierte = verzögert freisetzende) Basismedikation eines Opioids einzusetzen. Diese Basisbehandlung mit Opioid soll täglich möglichst zur gleichen Zeit erfolgen, beispielsweise morgens und abends um 08.00 bzw 20.00 Uhr mit einer 12-Stunden wirksamen Tablette. Da manche Menschen diese Medikamente schneller verstoffwechseln, kann gelegentlich auch eine dreimal tägliche Einnahme sinnvoll sein. Trotz zeitlich fester Einnahme der Medikation kann es aber immer wieder zu Schmerzspitzen, dem sogenanntem Tumordurchbruchschmerz kommen. Dieser Begriff ist unglücklich und kann den Eindruck erwecken, dass ein Tumor irgendwo im Gewebe „durchbrechen“ würde. Das ist nicht der Fall! Es kommt lediglich zu einer vorübergehenden Schmerzverstärkung, die durchschnittlich 30 Minuten, manchmal aber auch nur Sekunden oder wenige Minuten andauert. Viele Experten sprechen heute lieber von sogenannten „episodischen“ Schmerzen, damit beim Tumorschmerzpatienten keine unnötigen Ängste hervorgerufen werden. Dann ist es wichtig, ein schnell wirksames Opioid zur Hand zu haben, was die Schmerzen rasch lindert, aber nicht so lange wirksam ist. Häufig wird der gleiche Wirkstoff verwendet wie das Basisopioid. Dies ist aber nicht zwingend notwendig. Die Einnahme der schnellwirksamen Opioid-Medikation kann als Tablette, Nasenspray oder als Schmelztablette erfolgen, die unter die Zunge oder an die Wangenschleimhaut gelegt wird. Allerdings sollte die Einnahme dieser rasch wirksamen Opioide nicht unkritisch erfolgen.
 

Eine sehr häufige tägliche Einnahme kann ein Hinweis auf einen missbräuchlichen Gebrauch sein. Hier gilt die Faustregel, dass die Einnahme von bis zu drei Opioid-Bedarfsgaben am Tag in Ordnung ist.

Bei mehr Bedarfsgaben sollte ggf. die langwirksame tägliche Basismenge angepasst werden. In der Vergangenheit wurden bereits mittelstark wirksame Opioid-Tropfen vom Markt genommen, weil hierunter besonders oft eine missbräuchliche Einnahme und Abhängigkeitsentwicklung beobachtet wurden.
 

Nichtopioide (NSAR, Coxibe, Metamizol, Paracetamol) können auf jeder WHO-Stufe Baustein einer Tumorschmerztherapie sein. Auch Ko-Analgetika können auf jeder Stufe des WHO-Schemas zusätzlich gegeben werden. Bei starken Tumorschmerzen kann die Stufe 2 (mittelstark wirksame Opioide) übersprungen werden und direkt stark wirksame Opioide (Stufe 3) verordnet werden. Alle Opioide können bei Neueinstellung oder Dosiserhöhungen für wenige Tage zu Übelkeit oder Müdigkeit führen. Diese Beschwerden verschwinden nach 1-2 Wochen meist wieder vollständig. Dauerhaft entwickeln Opioide eine Verstopfung, die täglich vorbeugend mit einem Abführmittel zur Normalisierung des Stuhlgangs behandelt werden sollte.
 

Weitergehende Informationen finden Sie im Kapitel Tumorschmerzen.

Mit bestem Dank an die Autoren Sonja Hiddemann, Roman Rolke