Schmerz und Demenz

Oftmals fällt es Menschen schwer, Beschwerden zu erkennen und zu beschreiben. Sich dieses Phänomen bewusst zu machen, kann ein Ansatz sein, um die Situation von Menschen mit einer demenziellen Erkrankung und Schmerzerleben nachzuempfinden. Wie kann man dieser Problematik in der Behandlung gerecht werden?

Im Verlauf der Erkrankung Demenz können Gedächtnis, Konzentrationsfähigkeit, Sprachvermögen und körperliche Funktionen zunehmend stark eingeschränkt werden. Dies hat zur Folge, dass Betroffene den Ort ihrer Schmerzen nicht mehr benennen oder zeigen, das Empfinden (stechend, brennend etc.) ihrer Schmerzen nicht beschreiben oder sogar ihre Beschwerden nicht mehr als Schmerz benennen können. Menschen mit einer Demenz sind im Verlauf ihrer Erkrankung immer weniger in der Lage, sich an zurückliegende Schmerzereignisse zu erinnern.
 

Solange Menschen mit Demenz noch ihre Schmerzen beschreiben können, scheint die Schmerzstärke ähnlich intensiv empfunden zu werden wie bei gleichaltrigen ohne demenzielle Erkrankung. Allerdings fällt es Menschen bereits bei leichter Demenz schwer, diese genauer zu beschreiben.

Akute wie auch chronische Schmerzen haben einen erheblichen Einfluss auf die Bewältigung des Alltags, die sozialen Kontakte und die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Viele Menschen unter chronischen Schmerzen vermeiden aus Angst vor Schmerzen liebgewonnene Gewohnheiten, sie entwickeln depressive Symptome und reduzieren soziale Kontakte. Das trifft sicherlich auch für Menschen mit Demenz zu.

Diagnose

Um Schmerzen zu erkennen und adäquat zu behandeln ist die Kommunikation zwischen Betroffenen und Behandelnden von hoher Bedeutung. Wie oben bereits erläutert, verlieren Menschen mit Demenz zunehmend die Fähigkeit, sich adäquat mitzuteilen.
 

Den Behandelnden hilft:

  • die Fragen so einfach wie möglich zu stellen
  • langsam und deutlich zu sprechen 
  • nicht auf Antworten zu beharren, die der Betroffene nicht geben kann
  • Fragen, die sich auf die Vergangenheit beziehen, zu vermeiden
  • für die Einschätzung der Schmerzintensität die sogenannte „verbale Schätzskala“ zu verwenden
  • die Schmerzorte direkt abzufragen (Kopf, Schulter, Oberarm etc.),
  • das Gespräch mit Angehörigen, die den Betroffenen lange kennen und demnach Verhalten(sauffälligkeiten) besser bewerten können

Bei der verbalen Schätzskala ordnen die Betroffenen ihre Schmerzstärke bestimmten Begriffen zu wie zum Beispiel: „kein Schmerz“, „leichter Schmerz“, „mittelstarker Schmerz“, „starker Schmerz“ evtl. auch noch „am stärksten vorstellbarer Schmerz“.
 

Die Schmerzerfassung bei Menschen mit Demenz hängt von den Fähigkeiten der Betroffenen ab.

Im späteren Verlauf der Erkrankung, wenn sich die Betroffenen nicht mehr ausreichend mitteilen können, kann man Informationen zu Schmerzen über die Verhaltensbeobachtung gewinnen. Zudem scheinen Verhaltensänderungen wichtig zu sein, was Versorgende und Angehörige am besten wiedergeben können. Hier hilft, dass mit zunehmender dementieller Erkrankung sich die Verhaltensbeobachtungen, die als Ausdruck von Schmerzen angesehen werden können, deutlicher zeigen. Besonders gut untersucht sind der Gesichtsausdruck, die Lautäußerungen, die Körperhaltung und das soziale Verhalten. Für diese Situation bieten sich eine Reihe standardisierter Beobachtungsbögen an (s.u.), welche verschiedene Anzeichen, die auf Schmerz hindeuten, erfassen. Je mehr Anzeichen, desto wahrscheinlicher liegt ein Schmerzproblem vor. Ob dies auch für die Intensität des Schmerzerlebens zutrifft, ist noch nicht gänzlich geklärt.
 

Therapie

Die Behandlung von Schmerzen bei Menschen mit einer Demenzerkrankung unterscheidet sich wenig von der Behandlung älterer Menschen, die nicht von dieser Erkrankung betroffen sind. Bestimmte Grundsätze wie beispielsweise die vorsichtige, niedrigere und langsam zu steigernde Dosierung von Medikamenten und deren Anpassung an die Dauermedikation sowie der bestehenden Vorerkrankungen gelten auch bei der Behandlung von Menschen mit Demenz und Schmerzen. Ein besonderes Augenmerk liegt bei Älteren auf unerwünschte Wirkungen der Medikamente, die mit dem Alter und der Gebrechlichkeit zunehmen. Verstopfung oder Übelkeit sind hier erwähnt. Ähnlich wie Ursache oder Intensität der Schmerzen, dürfte es Menschen mit Demenz schwerfallen, diese unerwünschten Wirkungen zu benennen.

Aufgrund der unerwünschten Wirkungen sollten immer auch nicht medikamentöse Therapien bedacht werden, die häufig deutlich weniger Nebenwirkungen haben aber die Behandler zeitlich länger in Anspruch nehmen. Hierzu zählen aktivierende Bewegungsübungen und Ablenkungsverfahren wie Vorlesen oder Musiktherapie. Sehr hilfreich können aber auch lokale Anwendungen wie Massagen sowie kühlende oder wärmende Auflagen (Achtung: Erfrierungen, Verbrennungen) sein. Aromatherapie kann gerade bei Menschen mit Demenz wohltuende Wirkungen entfalten. Nicht zuletzt sollten die Vorlieben der Betroffenen beachtet werden. Elektrotherapie, Akupunktur oder noch eingreifendere Therapieverfahren sind mit zunehmender kognitiver Beeinträchtigung immer schwieriger anzuwenden.

Bei allen Behandlungen kommt es auf die angemessene Kommunikation, ausreichende Zeit und einfühlsame Beziehung an. Betroffene und Angehörige, Pflegende, Therapeuten und Arzt müssen dabei in engem Austausch stehen.

Fazit
Auf Basis eines Vertrauensverhältnisses, biographischen Wissens, einer den kognitiven Fähigkeiten angepassten Befragung, standardisierten Verhaltensbeobachtung und einer angemessenen Behandlung kann es gelingen, Menschen mit Demenz Schmerzen zu erkennen und zu lindern.
 

WebTipp
Beobachtungsbögen zur Schmerzeinschätzung bei Menschen mit Demenz:

BESD (Beurteilung von Schmerzen bei Demenz) mit BESD Kurzanleitung und BISAD (Beobachtungsinstrument für das Schmerzassessment bei alten Menschen mit Demenz)
PAIC (Schmerzbewertung bei beeinträchtigter Kognition) inkl. Anleitungsvideo

Mit bestem Dank an die Autoren Matthias Schuler, Daniel Molzan