Suche nach Ursachen und neuen Behandlungen: Fibromyalgie im Fokus der Forschung

Mannheim, 20. Oktober 2021 – Das Fibromyalgie-Syndrom, kurz FMS, ist eine äußerst belastende Erkrankung. Die Betroffenen – meistens sind es Frauen – leiden unter dauerhaften Schmerzen in verschiedenen Körperbereichen, besonders häufig an Rücken, Armen und Beinen. Begleitet werden diese körperlichen Beschwerden von psychischen Symptomen wie Müdigkeit, Schlafstörungen oder depressiven Verstimmungen, die die Lebensqualität weiter reduzieren. Die Ursachen des FMS liegen noch weitgehend im Dunkeln – in aktuellen Studien zeichnen sich jedoch mehr und mehr Besonderheiten ab, die die erhöhte Schmerzempfindlichkeit der Betroffenen zumindest zum Teil erklären und neue Ansatzpunkte für die Therapie des FMS liefern könnten. Einen Überblick über den Stand der Forschung geben Experten auf der heutigen Online-Pressekonferenz, die im Rahmen des Deutschen Schmerzkongresses stattfindet.

 

An einem Fibromyalgie-Syndrom leiden rund drei von hundert Menschen in Deutschland, das typische Erkrankungsalter liegt zwischen 40 und 60 Jahren. Obwohl das FMS also recht häufig ist und meist Menschen trifft, die mitten im Leben stehen, ist das Krankheitsbild eher unbekannt. Ein Grund hierfür mag sein, dass die Erkrankung für Laien wie für Mediziner nur schwer greifbar ist: Als „Syndrom“ ist das FMS durch das Zusammentreffen mehrerer, für sich genommen recht unspezifischer Beschwerden charakterisiert. Zu den Schmerzen, die in mehreren Körperbereichen auftreten und mindestens drei Monate lang anhalten, müssen noch Müdigkeit, Erschöpfung und Schlafstörungen hinzukommen, um die Diagnose FMS zu ermöglichen. „Letztlich ist das FMS jedoch eine Ausschlussdiagnose – die Verdachtsdiagnose wird also erst dann gestellt, wenn andere Ursachen für die beobachteten Beschwerden ausgeschlossen wurden“, sagt Prof. Dr. med. Nurcan Üçeyler, MHBA, Oberärztin an der Neurologischen Klinik und Poliklinik am Universitätsklinikum Würzburg und Kongresspräsidentin des Deutschen Schmerzkongresses 2021. Insbesondere finden sich keine Schäden oder Entzündungen an Muskeln oder Gelenken, obwohl die Schmerzen in der Regel dort empfunden werden.

 

Üçeylers Arbeitsgruppe war die erste, die vor nunmehr acht Jahren eine objektiv belegbare biologische Veränderung bei Patientinnen und Patienten mit FMS nachweisen konnte. „Wir konnten damals bei einem Teil der Betroffenen eine Störung der kleinen, schmerzleitenden Nervenfasern (small fibers) außerhalb des zentralen Nervensystems nachweisen, was wir Small fiber-Pathologie nennen“, erläutert die Würzburger Professorin. Eine solche Störung, bei der unter anderem die Nervenfaserdichte in der Haut verändert ist, ist zum Beispiel auch als Langzeitfolge eines Diabetes bekannt. Neben einer reduzierten Sensibilität kann eine Small Fiber Pathologie auch zu Missempfindungen und übersteigerter Schmerzwahrnehmung führen.

 

Während die Ergebnisse aus Üçeylers Untersuchungen mittlerweile vielfach bestätigt wurden, beleuchten aktuelle Studien auch den immunologischen Aspekt des FMS. Im Fokus stehen dabei zum einen bestimmte Antikörper, die bei einem Teil der FMS-PatientInnen gefunden wurden und gegen körpereigene Strukturen gerichtet sind, zum anderen Zellen und Botenstoffe des Immunsystems, die – wiederum nur bei einem Teil der Betroffenen – in ihrer Menge oder Aktivität verändert sind. „Diese Erkenntnisse könnten uns helfen, mögliche Untergruppen des vielfältigen Krankheitsbildes FMS zu identifizieren“, sagt Üçeyler. 

 

Als Richtschnur für die Behandlung des FMS gilt derzeit eine unter Federführung der Deutschen Schmerzgesellschaft erstellte S3-Leitlinie, die auch den großen Einfluss der Psyche auf die Krankheitsentstehung berücksichtigt. Als Konsens gilt, dass neben biologischen Faktoren auch seelische oder psychosoziale Belastungen, Stress und berufliche Überlastung ein FMS befördern können. „In der Praxis ist daher neben der körperlichen Untersuchung auch eine psychische Anamnese wichtig“, betont Üçeyler. Zentral sei auch die Aufklärung der Patientinnen und Patienten: Zum einen über das Krankheitsbild, das zwar die Lebensqualität, nicht aber die Lebenserwartung beeinträchtige, zum anderen über die Möglichkeit, die Beschwerden durch körperliche Aktivität zu lindern. In der Therapie des FMS wird daher mindestens ein körperlich aktivierendes Element wie Ausdauer- oder Krafttraining, Gymnastik, Stretching oder Wärmetherapie mit einem psychotherapeutischen Verfahren kombiniert, etwa einer kognitiven Verhaltenstherapie. „Eine spezifische medikamentöse Therapie gibt es dagegen bislang nicht“, sagt Üçeyler. Gegen besonders ausgeprägte Beschwerden stünden lediglich schmerzstillende und/oder antidepressiv wirksame Mittel zur Verfügung. Mit ihrer Forschung hofft Üçeyler nun, die Suche nach spezifischen, gegen die Ursachen der FMS gerichteten Wirkstoffen voranzubringen.

 

 

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