Warum werden die einen nach einem Unfall, einer Operation oder einem „Hexenschuss“ wieder gesund, während andere ihre Schmerzen auch lange nach der Heilungsphase einfach nicht loswerden? In der Medizin werden diese Unterschiede heute mithilfe des biopsychosozialen Modells erklärt. „Wie der Name es bereits andeutet, geht man davon aus, dass verschiedene Faktoren zusammenwirken müssen, damit Schmerzen chronisch werden“, sagt Dr. rer. nat. Anne Gärtner, Diplom-Psychologin und Psychologische Psychotherapeutin an der TU Dresden. Neben einer biologischen Ursache – etwa einem Knochenbruch, der die Schmerzen in der Akutphase ausgelöst hat – tragen demnach auch psychische und soziale Faktoren dazu bei, dass die Beschwerden über eine unangemessen lange Zeit bestehen bleiben. So ist das Chronifizierungsrisiko etwa bei Menschen besonders hoch, die sich durch ihre Schmerzen stark im Alltag beeinträchtigt fühlen, die ausgeprägtes Vermeidungsverhalten entwickeln, Anzeichen für eine Depression zeigen oder ihre Beschwerden katastrophisieren. Auch soziale Faktoren wie beruflicher Stress oder familiäre Belastungen können zu einer Chronifizierung beitragen.
Das von der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. in Zusammenarbeit mit der BARMER entwickelte interdisziplinäre Präventionsprogramm PAIN2.0 setzt daher bereits dann an, wenn erste Anzeichen für diese Risikofaktoren auftreten. Das ambulante Programm, das bundesweit angeboten wird, dauert insgesamt 10 Wochen und umfasst 3 Stunden Gruppentherapie pro Woche, die nachmittags stattfinden, sowie ergänzende Einzelsitzungen. „PAIN2.0 ist vom Umfang her bewusst so gestaltet, dass es berufs- und alltagsbegleitend genutzt werden kann“, sagt Gärtner, die neben Privatdozentin Dr. rer. nat. Dipl.-Psych. Ulrike Kaiser (UKSH Lübeck) die wissenschaftliche Projektleitung am USC - UniversitätsSchmerzCentrum Dresden innehat.
Im Rahmen des Präventionsprogramms erlernen die Teilnehmenden individuelle Strategien zur Schmerzbewältigung und aktive Übungen, über die sie letztlich zu einem veränderten Schmerz- und Belastungsverhalten im Alltag finden sollen. „Die Teilnehmenden müssen ihren Schmerz verstehen, deshalb ist auch eine ausführliche Edukation zu schmerzbezogenen Themen ein wichtiger Bestandteil des Programms“, so Gärtner. Das Besondere dabei ist, dass die Therapie von allen beteiligten Berufsgruppen – den ärztlichen, psychologischen und physiotherapeutischen – gleichberechtigt gestaltet wird. Eine begleitende Studie soll klären, wie effektiv dieser neue Ansatz einer Chronifizierung entgegenwirken kann. Um teilnehmen zu können, müssen die Betroffenen volljährig sein, und ihre Beschwerden müssen seit mehr als 6 Wochen bestehen oder über einen längeren Zeitraum immer wieder aufgetreten sein.
Eine interdisziplinäre, multimodale Therapie ist in Deutschland noch nicht oft genug für die Betroffenen verfügbar – aus Sicht der selbst schmerzerkrankten Heike Norda einer der Gründe dafür, dass die Behandlung chronischer Schmerzen oft in falschen Bahnen verläuft. „Betroffene werden vom Hausarzt zur Physiotherapie, dann in die Orthopädie und häufig erst nach invasiven Therapieversuchen zum Schmerztherapeuten geschickt“, sagt die Vorsitzende der Patientenvereinigung UVSD SchmerzLOS e. V. in Neumünster, die auf der Pressekonferenz aus der Perspektive der Betroffenen über das Thema berichten wird. Nach der Überweisung seien Wartezeiten von bis zu 12 Monaten auf den Ersttermin in der Schmerztherapie eher die Regel als die Ausnahme. Der Verein setzt sich daher für eine sektorenübergreifende Behandlung, eine Verkürzung von Wartezeiten auf höchstens 4 Wochen und die Abschaffung finanzieller Anreize für invasive Maßnahmen ein. Diese sollten den Gesprächsleistungen, die im Rahmen der Schmerztherapie zielführender und zur Früherkennung von Chronifizierungsrisiken notwendig seien, gleichgestellt werden.
Zu den Forderungen von SchmerzLOS e.V. zählt auch eine strukturierte Aufklärung der Betroffenen über das biopsychosoziale Modell, wie sie im Rahmen von PAIN2.0 stattfindet. „Nur wer die Krankheitsfaktoren kennt und seine Krankheit als solche akzeptiert, kann aktiv an der Behandlung mitwirken“, betont Norda. Auch im sozialen Umfeld und in der Gesellschaft als Ganzes tue Aufklärung Not – denn auch heute noch werden viele Schmerzpatient*innen mit dem Vorwurf konfrontiert, sich gehen zu lassen oder gar zu simulieren. „Dieses Unverständnis ist besonders belastend und für die Heilung kontraproduktiv“, sagt Norda. Auch aus diesem Grund wird der Austausch mit anderen Betroffenen in einer Selbsthilfegruppe meist als äußerst hilfreich empfunden – ein wichtiger Baustein der Schmerztherapie, den nach Nordas Erfahrung noch immer viel zu wenige Behandelnde ihren Patient*innen empfehlen.
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